Ist Schubladen-Denken sinnvoll?
Neulich kamen wir in eine tiefe Diskussion. Wie so oft, beschrieb ich, wie ich andere Menschen wahrgenommen habe und erkläre, warum ich dieses und jenes so einschätze und so weiter…und Heinrich kritisierte, wie, so oft, meine Art, das zu tun.
Er lehnt diese Art, andere Menschen zu „kategorisieren“ grundsätzlich ab und hält dies für wenig hilfreiches „Schubladen-Denken“.
Darüber sind wir tiefer und tiefer eingestiegen. Und plötzlich hat er verstanden, dass es bei meinen Beschreibungen gar nicht ums „Urteilen“ sondern ums „Beschreiben“ geht.
Es geht vielmehr um meine Art, die Vielfalt von Menschen, zu unterscheiden und über meine persönlichen Vergleiche Erkenntnisse zu gewinnen.
Meine langjährige Tätigkeit in meiner sozialpädagogischen Familienarbeit mag mich da zudem noch geprägt haben, weil hier professionelle Einschätzungen sogar gefordert wurden.
Doch ich war schon immer ein Mensch, der andere Menschen gerne beobachtet und „studiert“ hat.
Wir haben uns lange darüber unterhalten und uns die Frage gestellt, ob es überhaupt möglich ist, Menschen zu begegnen, ohne sich mit den ersten Informationen, die sich da zeigen, bereits ein Bild von diesem Menschen zu formen.
Geht es überhaupt ohne „Schubladen-Denken?“ Wir kamen zu einem „Nein“ als Antwort.
Und je mehr Informationen und Lebenserfahrungen da mit hineinspielen, desto schneller kategorisieren wir einen Menschen in eine gewisse Schublade hinein.
Aber ich finde, das ist in Ordnung.
Wichtig ist, dass ich diese Schubladen offenhalte, damit die Möglichkeit gegeben ist, diesen Menschen auch immer wieder neu entdecken zu können und dem näher zu kommen, wie dieser Mensch wirklich gestrickt ist.
Ich selbst verabscheue es, wenn jemand vorschnell urteilt und sich ein „falsches“ Bild von mir macht und wenn ich kaum eine Möglichkeit habe, mich so zu zeigen, wie ich wirklich bin.
Klar passiert es auch, selbst wenn ich mich total authentisch zeige, dass jemand mich trotzdem falsch einschätzt oder eben über mich urteilt.
Das kann ich nicht beeinflussen. Doch hier geht es eben nicht ums Urteilen.
Dieser Prozess, der da abläuft, sobald wir einem Menschen näher oder öfter begegnen, ist automatisch immer da.
Wir schätzen den anderen ein, bewusst oder unbewusst. Auch wenn es zunächst überwiegend unser Verstand tut, aus „Sicherheitsgründen‘“ oder wie auch immer.
Wichtig ist, die Schubladen offen zu halten, damit neue Informationen hineinkönnen und nicht zu urteilen.
Wie oft war der erste Eindruck dann doch völlig falsch? Weil da eigene Vorurteile oder andere Programme abliefen oder weil die Umstände einfach ein falsches Gesamtbild ergaben.
Zu sagen, dass der erste Eindruck immer der wichtigste ist, stimmt für mich überhaupt nicht.
Die zweite wichtige Sache ist Folgende: Wenn ich all meine offenen Schubladen so betrachte und mir fällt eine auf, bei der mir negative Emotionen hochkommen und ich bei dem Gedanken an die Menschen, die ich in dieser Schublade verstaut habe, Gefühle von Ablehnung, Groll oder sogar Hass hochkommen, dann…. tue ich gut daran, genau diese Baustelle näher zu betrachten, damit ich das in mir auflösen kann.
Wenn ich wirklich aus vollstem Herzen heraus leben und anderen Menschen mit bedingungsloser Liebe begegnen will, dann bin ich auch in der Lage, alle Schubladen und all die Menschen darin, neutral und urteilsfrei anzuschauen.
Und ich glaube, dass das möglich ist!
Ich finde, das ist ein schönes Ziel. Und wie erreiche ich das? Indem ich meine eigenen Begrenzungen weiter auflöse und all die Gedankenschranken über das Menschsein und die Welt, in der ich (immer lieber) lebe, hinterfrage und aussortiere!
Und genau so, wie wir meinen, andere Menschen zu kennen, können wir unser Bild von dieser, unserer Welt auch in Frage stellen.
Auch, wenn wir irgendwann meinen, wir wüssten, wie der Hase läuft, warum dieser und jener Politiker so agiert, warum es Religionen erschaffen wurden oder warum es diese Erde überhaupt gibt….vergiss es. Wir wissen gar nichts!
Je offener wir sind für neue Informationen, desto verwirrter können wir sein. Am besten wäre es vielleicht, nur eine einzige Schublade in unserem Denksystem einzurichten, auf der steht: Noch in Bearbeitung!
Wie denkst Du darüber? Gibt es auch in Deinem Leben diese Schubladen?
Ja, ich glaube zu wissen, dass wir ein Stück Halt und Sicherheit suchen in diesen Schubladen.
Ich schätze auch, dass sich einige von uns gerne ein wenig fest halten, an etwas, das einschätzbar, bestimmbar und berechenbar ist.
Meine momentane Wahrheit lautet:
jedes feste Konstrukt engt mich ein und hindert mich daran, Neues zu entdecken und der Wahrheit hinter der Wahrheit wirklich näher zu kommen.
Es grüßt Dich herzlich
die Gisi